Hasswort – Passwort

Die silbern glänzende Kaffeemaschine ist eine Augenweide. Formvollendet, funktionsperfekt und – teuer. Das Edelstahlgehäuse prunktet mich voll des Glanzes an. Die Lust auf frisch gerösteten Caffè macchiato oder einen klein-schwarzen espresso lungo durchdringt mich porentief.

Obwohl ich praktisch bewegungslos vor meinem All-in-one-PC sitze, steigt mein Puls rasant. Mein Gehirn meldet: «kaufen, kaufen, kaufen!»

Die Online-Versand-Firma, auf deren Website ich auf wundersame Weise gelandet bin, ist mir nicht bekannt. Vermutlich, weil sich kein Produkt unter 1’000 Franken finden lässt. Egal – meine Kreditkarte (Platinum; Limite CHF 5000.–) strahlt vor finanzieller Glaubwürdigkeit und liegt griffbereit.

Das Wunder italienischer Ingenieurskunst protzt nun nicht mehr. Es lächelt triumphierend und provokant aufreizend seine neue Besitzerin an. («Prendimi, prendimi, prendimi!»)
Doch was im Rausch der Vorfreude («Ein intensives Erlebnis, das den täglichen Kaffee zu einem sinnlichen Vergnügen macht») ein Sprint ins gemahlene Glück zu sein scheint, sollte sich als schmerzlicher Hürdenlauf erweisen…
Die Option «als Gast bestellen» ist nicht vorhanden. Dann also «Als Interessent registrieren». Das ist zwar genderungerecht, aber vor allem:

NICHT GUT – gar nicht gut.

Während Blutdruck und Adrenalinspiegel quasi synchron steigen, tippen meine Finger links- und rechtshändig im schnellen Stakkato in die Tasten. Niederschwelliges Ziel: Erstellen eines Kontos. Anrede, Titel («optional» – hier erlaube ich mir in genussfreudiger Erwartung der vollautomatischen Bezzera-Kaffee-Bar ein «Principessa»), Jahrgang (ich schummle…) sowie Wohn- und E-Mail-Adresse.

Der eigentliche Grund für die Inbesitznahme der Mailadresse ist glasklar: personalisierte Werbung bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag («CODE SUPERSALE, Frau Mörgeli: 10 % auf alles* nur für Sie bis Mitternacht» / «Deine letzte Chance, liebe Corinne; drehe am Glücksrad!»). Auf verbleibende optionale Angaben wie Telefonnummer, Hobbys, Körbchengrösse (bitte was?) verzichte ich. «Voilà, erledigt!»

Mit dem, was jetzt kommt, steht Frau Mörgeli (als fortgeschrittene Online-Bestellerin) seit Jahren auf digitalem Kriegsfuss. Bei geschätzten 40 Firmen bestellt sie Jeans, Wein, Massageöl, Lampen, Parttime-Lover (nur wenn nichts oder nur Langweiliges zu Hause rumlümmelt. Pssst…), Parfums, Geschenke, Bücher (aktuell: «Die ewige Suche nach Mr. Right»), Hundebettchen, Kaffee-Kapseln, CBD-Dragees, Strümpfe, Pfannen u. a.

PASSWORT!

Jetzt steigt bereits oben Genanntes pandemisch-exponentiell gen Limit. Erst glückberauscht, jetzt stressgeplagt. Ich weiss zwar, dass mein Zugang zum World-Wide-Web («verCHROMt» wie meine Zaubermaschine) diese Wort-Zahl-Kombinationen irgendwo versteckt hält. Das beruhigt aber nicht! So missbrauche ich meist Ausgaben der humanoiden Spezies aus meinem Lebenskreis, deren Geburtsjahr und noch zwei, drei Zahlen, Buchstaben oder sog. Sonderzeichen.

Das Geheimwort für die Weinbestell-Onlinefirma z. B. besteht aus dem Vornamen des Bruders meiner ehemaligen Nachbarin, dessen Geburtsjahr und zwei Fragezeichen. Der ist Winzer. Macht Sinn, oder nicht?! Für Küchenartikel muss mein Mamilein herhalten. Das Wort endet hier mit HDGDL, was für «hab Dich ganz doll lieb» steht. Den Zug zum Dating-Portal ermöglicht mir mein Ex-Ex-Freund. Wie gehabt: Vorname, Jahrgang und Grösse des (nö, nö, nö…) Körpers in cm. Here we go!

Genial. Oder?

Auf diese Weise – so rede ich mir zumindest ein – vergesse ich, eselsbrückenbegabt, die Zauberwörter nie mehr. Meine zweitbeste Freundin – seit Neustem aus- und aufgerüstet mit einem ICT-Support-Diplom – hat mir jüngst allerdings davon abgeraten. «Leute in deinem Umfeld könnten ja jetzt…» Ich wechsle also die Taktik. Mittlerweile habe ich den «point of no return» des Kauf-Ergusses hinter mir.

In der linken Hand ein Glas Rotwein (das brauche ich jetzt), gebe ich rechtsfingerig «Syrah12» ein. «Zu kurz» Ich ersetzte «12» durch «abcd». «Nicht sicher, da keine Grossbuchstaben»

Für ein unüberwindlich passables Passwort ist offenbar ein Abschluss in allerhöchster Mathematik nötig. Ich kann nicht mal Dreisatz. Auch das zweite und das dritte Glas Wein beruhigen mich nicht wirklich. «syrah2000!?» müsste den Sicherheitsstandards genügen. Falsch! «Sonderzeichen sind nicht erlaubt»

Auf welcher Seite ich gerade wurstle, ist mir derweil entfallen. Verzweiflungswut erfasst mich. Paralysiert wie das Kaninchen vor der Schlange gebe ich ein Standardpasswort ein. Vorname meines Vaters, sein Geburtsjahr und HDL. «Jetzt bestellen»

NUN MÜSSTE ES KLAPPEN! Ich stehe unmittelbar vor dem Sieg: Matchball Mörgeli. Ich tippe hoffnungsbebend mit dem Schlachtruf «now or never!» die Enter-Taste.

«Leider ist das von Ihnen gewählte Produkt momentan nicht erhältlich. Bitte warten Sie…»

Die Kreditkarte muss der zweiten Flasche Syrah Platz machen.

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