Zu zweit allein im Fashion Store

«Weisst du schon, was du brauchst?», fragt David. Weiss ich nicht. Deshalb bin ich ja hier. Für mich ist der Besuch eines Damenbekleidungsgeschäfts eine beinahe schon sinnliche Erfahrung, ein Shopping-Erlebnis mit offenem Ende, bei dem ein Freund wie meiner vor allem eines ist: ein quengelnder Störfaktor.

Sind wir doch mal ehrlich: Schultertaschen mit Franzen, hohe Pumps aus Lack, ärmellose Cocktailkleider, sexy Bodys oder Spitzentops, Mini-Jupes, Blusen mit Spitzen und dann die heissen Teile in der Dessous-Abteilung. All das lässt doch ein Frauenherz schneller schlagen!
Paradoxerweise hat mein Schatz einen auffällig exquisiten Geschmack, was mein Erscheinungsbild betrifft. Mit schäbigen Klamotten brauch ich gar nicht erst ins Freie zu treten… Zu Hause salopp, auswärts top. Hier aber, am Ausgangspunkt meiner und vielleicht auch seiner Wünsche ist er gerade im Begriff, sich lächerlich zu machen. Ohne dies zu ahnen.

Nun bin ich ganz in meinem Element.

Shopping-Rausch! Magisch lockt aus der Ferne ein pinkfarbener MARC CAIN Strickpullover. Während ich ihm entgegeneile, zwinkert mich aber plötzlich eine Umhängetasche (BOSS WOMEN in Schwarz) an. MARC CAIN muss warten. Das Juwel flirtet nun mit mir. Goldene Metallapplikationen mit Logo-Gravur törnen mich an. «Nimm mich – jetzt und hier!», flüstert HUGO BOSS lasziv.
Von solcherlei Wünschen dürfte mein sich hier fremd fühlender Geliebter meilenweit entfernt sein. Wie ein verdeckter Ermittleraspirant vom Inlandsgeheimdienst im allerersten Einsatz folgt er mir derart ungeschickt unauffällig, dass der wirkliche Ladendetektiv ihn wohl längst ins Kameravisier genommen hat. Mir egal.
Der Preis würde den Aspiranten wohl in Schockstarre versetzen. Mich nicht. Was sind schon 999.99 Franken angesichts der Aussicht auf prunkvolle gemeinsame Erlebnisse? Eben! Das Prachtstück ist notiert.
Während ich hinter mir Geräusche wahrnehme, stehe ich plötzlich vor einem «Lackbody ouvert» in dunklem Blau.

«Eigentlich» bin ich nicht so, aber…» 

Unmerklich muss ich wohl die Dessous-Abteilung erreicht haben. Neben dem quasi durchsichtigen Zweiteiler sind bezaubernde, hauchzarte Negligés aufgereiht. Fast alle in Rot, der Farbe der Liebe. Strings und Tangas (nicht nur rote) ergänzen das umfassende Angebot an reizender Unterwäsche. Dem Ermittler würde das gefallen.
Apropos Ermittler: Die Geräusche haben sich mittlerweile als Stimmen entpuppt. Ich drehe mich um – in der Hand ein Spitzen-Strapskleid der eher unanständigen Art. Ich traue meinen Augen nicht.

Bin ich im «Tatort»?

Ein muskulöser Typ mit Sonnenbrille redet beschwichtigend, aber dennoch bestimmt auf einen sichtlich aufgewühlten Mann ein und zieht ihn, sanfte Gewalt anwendend, mit sich. Der Aspirant wedelt mit den Armen und schaut mich kurz wie dem Verderben preisgegeben an. Aber er hat keine Chance. Weder gegen ihn noch bei mir. Ich gebe mich unbeteiligt. Bin ich doch...
Eine Viertelstunde später stehe ich an der Kasse: HUGO BOSS gehört jetzt mir. Dazu kommen ein Spitzen-Strapskleid und halterlose Netzstrümpfe in Weiss. Wir werden Spass haben.
Bald werde ich meinen geliebten Ermittler wiederhaben. Ich werde ihn wohl daheim empfangen und besänftigend trösten müssen. Das tue ich doch gerne. Nicht salopp, sondern top…


Datenschutzhinweis

Diese Webseite verwendet Cookies. Durch die Nutzung der Webseite stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Datenschutzinformationen