Rummel-Bummel am Everest

Einmal Everest. Immer Everest. Wenn sich alljährlich kurz vor der Monsunzeit eine bunte Schar von motivierten Bergsteiger-Touristen und zuversichtlichen Höhenwander-Freundinnen anschickt, den höchsten Berg der Welt, den «Chomolungma», die «Mutter des Universums» zu erkraxseln, schlägt mein Herz höher; dann bin ich dabei.

Mein 1-Mann-Zeltchen deponiere ich alle Jahre wieder von Anfang bis Ende Mai (ausser bei Erd-beben, Pandemien oder in Kriegszeiten natürlich) möglichst mittig, also mit optimaler Sicht auf das kunterbunte Treiben im Base Camp. Denn: Ich bin ein riesiger Fan der potenziellen «Everest-Finisher» und deren Kapriolen! Fazit meines letzten Basislager-Urlaubs: ein Trauerspiel sondergleichen!

Allein die rund 8-wöchige Vorbereitung auf den ersehnten ultimativen Kick am Gipfeltag – das müssen Sie wissen – hat es in sich. Da ist es allemal lob- und lohnenswert, sich bereits im heimischen Umfeld mittels proaktivem Höhentraining in Schwung zu bringen. Dementsprechend hatte der Litauer Danius Landsbergis (passt, der Name…) am landeshöchsten Felsklumpen Aukštojas (294 m) emsig trainiert (1000-mal rauf und runter – von einem Hypoxiezelt hatte er noch nie gehört). Brav, sehr brav!

Wer aber hätte ahnen können, dass der Landesmeister im Wandern und Bouldern bereits auf dem Trekking-Spaziergang Richtung Basislager kurz nach Lukla auf rund 3000 m ü. M. höhenkrankheitsbedingt ins eisige Gras beissen würde? Chomolungma habe ihn selig. Die euphorisch hingeblätterten 55 000 Euro hätte er vielleicht besser dem einzigen litauischen Boulderverein gespendet. Aber nachher weiss man’s bekanntlich immer besser…

Wer den 5- bis 6-tägigen Marsch ins Base Camp auf nepalesischer Seite (5365 m) überlebt, darf erst mal chillen: ein wenig herumflanieren und mit der hübschen griechischen Schafhirtin aus Kolymnos oder dem österreichischen Bergbauern flirten, Essen (geniessen) runterwürgen, zwischendurch ein Glas Wein oder (alternativ) einen Proteinshake schlürfen und vor allem: die gipfelsturmbereiten Kletterprofis und -laien jeglicher Couleur beäugen.

Diese präparierten das grosse Ziel peu à peu: Während sich die Frauen-Expedition «Klimmer-Dames-55plus» aus Holland (höchster niederländischer Berg: 322 m) im Ausbildungszelt en detail explizieren liess, wie Steigeisen an Turnschuhen zu befestigen sind, stritten sich 20 Meter weiter fünf Japaner in Adiletten wutschäumend um die Zuteilung ihrer 102 Sherpas und 444 Sauerstoffflaschen. Das geht ja mathematisch gar nicht auf; das hat vielleicht Spass gemacht!

Am Rande: Die Nr. 6 der Gruppe, eine Frau aus Tokyo inner city, hatte sich ums Verrecken (Pardon!) nicht vom Plan abbringen lassen, mit 2-m-Selfie-Stick den Berg zu erklimmen. Dies war selbst ihren Smartphon-affinen Expeditionskameraden des Dämlichen zu viel. Zwei nepalesische Bergpolizistinnen mussten die renitente Hochtouristin in Handschellen und Steigeisenfesseln retour runterspedieren…

Die weiteren Tage verliefen fahrplanmässig (go high – sleep down). Rauf und runter – marschieren hier, schlafen dort. Die Ausfallquote stieg während dieser Akklimatisationsphase allerdings bereits exponentiell – ungefähr so, wie bei Lehrpersonen über 55 Jahren oder Fallzahlen während der Corona-Wellen… Todesstürze am Khumbu-Eisbruch auf dem Weg zum Camp 1, schockgefrorene Massai-Bergsteiger im Camp 2, verschwundene Schneeblinde nach Pinkelversuchen auf Camp 3, Höhenhirnödeme in Camp 4 auf 8000 Metern Todeszonenhöhe u. a. m. Traurig – tragisch.

Für einen Hauch von (unwillkommener) Abwechslung im Basislager sorgten vier polnische Teenager (aus Łódź). Oder waren das doch Schweizer oder Deutsche? Egal. Die dubiose Sippe hatte das halbe Equipment «vergessen» und leihte sich das Fehlende hüben und drüben aus. Das war zwar klettertechnisch nachvollziehbar, aber nicht wirklich nach Gusto der anderen Expeditionen. Wieder ein Fall für die Everest-Sicherheitspolizisten… Aber so was gehört halt einfach dazu – oder nicht?

Schliesslich und endlich kam gegen Ende Mai der grosse Tag, dem ich in meinem Tipi sehnsüchtig entgegengefiebert hatte: Gipfelsturm-Zeitfenster! Die holländischen Turnschuhfrauen, 444 japanische Sauerstofflaschen, ein Schweizer Alphorn- und Bergsport-Verein (in Rot-Weiss – klaro), eine tschechische Höhen-Polka-Forschungsgruppe, die sieben «US-Barbecue-mountain-walk-Cowgirls» und viele andere nahmen den beschwerlichen Aufstieg gen «Top of the World» (ca. 8848 m ü. M.) in Angriff.

Erwähnenswert insbesondere: Nicht aufzuhalten war eine saudiarabische Expedition, bestehend aus einem Scheich der Königsfamilie, fünf Mätressen (lammfellumhüllte Schönheiten wurde getuschelt) und 20 persönlichen Sherpas. «Zwei-Millionen-Dollar-Fullservice plus», heisst dieses Angebot. Sidi Abdel Assar von El Hama hatte die Ausrüstung in weiser Voraussicht um einen eiserprobten Seilzug und eine Tragbahre (mit integrierter Heizfunktion) erweitert. Warum wohl: Der Hillary Step, eine gut 12 Meter hohe, senkrechte Felskante, und die letzten Schritte bei gefühlten -50 Grad (Windchill-Effekt!) bis zum Gipfel verlangen auch Wohlbetuchten und -umsorgten das Letzte ab. Da darf doch nichts dem Zufall überlassen werden!

Zum Erstaunen aller startete die grosse «Army-des-Sables-Tuareg»-Expedition aus Mali bereits um 11 Uhr abends mit dem Schlachtruf «vive le sommet!» im Gänsemarsch und Schneckentempo himmelwärts. Leider sahen sich daraufhin alle anderen Gruppen gezwungen, die bald erschöpften und leicht aggressiven Berber zu überholen. Ist nur logisch, kostete dies Kraft und Nerven!

Möglicherweise interessiert Sie nun die Erfolg-Verlust-Bilanz. Rund 15 Prozent (zur Veranschaulichung: drei Viertel eines Adilettenträgers aus dem Land des Lächelns…) erreichten den Peak und kamen mehr oder eher weniger intakt zurück ins Base Camp; ungefähr zwei Fünfteln blieb – zurückstolpernd oder -rutschend – das Erfolgserlebnis (lebendig immerhin) verwehrt. Fatal hingegen: Sidi Abdel kippte nur 10 läppische Meterchen unterhalb des Gipfels von der High-Tech-Trage und sucht nun (ca. 7500 m ü. El Hama) den ewigen Frieden.

Ah ja: Die Sahara-Karawane wurde noch unterhalb von Camp 1 letztmals überholt und somit gesichtet. Seither gelten die Wüstenbewohner als verschollen…

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